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February 23, 2006

Arbeit am Leitbild

Bin ich der einzige, der diesen neuen Medienkodex des Netzwerks Recherche für ein überflüssiges und in Teilen sogar ärgerliches Machwerk hält? Der Regelkatalog ist eine Mischung aus Banalitäten des Typs "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut", die darüber hinaus schon an anderen Stellen (zum Beispiel im Pressekodex) festgehalten sind, und fragwürdigen Glaubenssätzen.

Das fängt schon mit der Präambel an: "Neue Technologien und zunehmender ökonomischer Druck gefährden den Journalismus." Welche "neuen Technologien" sind denn hier gemeint? Doch nicht etwa das Internet? Da uns keine weitere Begründung geliefert wird, dürfen wir wohl davon ausgehen, dass hier Old-School-Ängste transportiert werden, wie sie neue Medienentwicklungen immer begleiten. Ein normativer Anspruch lässt sich aus sowas kaum ableiten.

Dann die Regel 5: "Journalisten machen keine PR." Man muss genau hinschauen. Es heißt hier nicht: "Journalisten machen keine versteckte PR". Es heißt auch nicht: "Journalismus und PR sind sorgfältig zu unterscheiden." Nein, hier wird ein Sündenfall definiert: Ein Journalist, eine Journalistin, die sich dazu hinreißen lassen, auch einmal einen PR-Auftrag zu übernehmen, verwirken damit das Anrecht, sich Journalisten zu nennen - auch dann, wenn sie sich in ihrer journalistischen Arbeit vollständig an die Regeln halten und alle notwendige Sorgfalt zur Anwendung bringen.

Da kann man wirklich nur fragen: In welcher Welt lebt ihr eigentlich in eurem Netzwerk? Kennt ihr nur eure finanziell gut gepolsterten SWR- oder SZ-Redaktionsstuben? Wisst ihr überhaupt, wie die Arbeitsbedingungen für freie Kollegen aussehen? Was für ein Privileg es ist, wirklich journalistisch arbeiten zu dürfen? Ein Privileg, das man sich angesichts katastrophaler Zeilenhonorare in den meisten Fällen querfinanzieren muss?

Aber darum geht es noch nicht einmal. Selbst in einer besseren möglichen Welt, in der journalistische Arbeit angemessen bezahlt würde, spricht meines Erachtens nichts dagegen, beides zu machen: Journalismus und PR - solange man die Tätigkeiten sorgfältig auseinander hält und in beiden Fällen die Qualitätsstandards seines Aufgabenfelds beachtet. Das ist sicher nicht immer einfach. Aber es wäre hilfreicher, wenn man darüber offen miteinander reden würde, statt pauschal alle Journalisten, die auch PR betreiben, zu verurteilen.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich bin Verfechter eines strengen Trennungsgebots zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt. Ich bin außerdem der Meinung, es sollte bei deutschen Medien viel mehr redaktionelle Kodizes geben, die die Maßstäbe explizit machen, an die man sich zu halten verspricht. Eine platte Regel wie "Journalisten machen keine PR" halte ich dabei aber nicht für hilfreich.

Problematisch finde ich auch Regel 7: "Journalisten unterscheiden erkennbar zwischen Fakten und Meinungen". Diese Regel erlegt dem Journalismus eine viel zu rigide Form auf. Wo bitte, außer vielleicht im starren Korsett einer altmodischen Tageszeitung lässt sich dieses Prinzip wirklich aufrechterhalten? Es ist schon im Grundsatz fragwürdig: Die Darlegung von Fakten ist nie frei von Meinung. Kommunikation ist immer selektiv und perspektivisch. Und wenn ich Meinung kundgebe, dann gewinnt diese an Gewicht, wenn ich sie mit Fakten hinterlege. Der reale Journalismus hat sich daher auch nie wirklich um diesen Blödsinn geschert. Viele exzellente Reportagen, ganze Hochqualitätsmedien wie der Economist leben von der Vermischung von Bericht und Position.

Natürlich ist etwas dran: In den meisten Fällen sollte der Journalist sich selbst zurücknehmen, statt dessen andere relevante Sichten auf ein Thema identifizieren und zu Wort kommen lassen. (Eine Aufgabe, die gerade älteren Kollegen zunehmend schwerer zu fallen scheint - man denke etwa an Peter Scholl-Latour...). Aber das ist eher eine Optimierungsaufgabe, und je nach Format und Kontext kann der eigene Anteil eine ganz unterschiedliche Rolle spielen. Eine pauschale Trennung von Fakten und Meinungen ist nicht aufrechtzuerhalten und ist auch gar nicht wünschenswert. Viele sehr lebendige journalistische Formen leben von einer Mischung aus Information und Subjektivität.

Also, liebe Netzwerker: Ihr würdet dem deutschen Journalismus einen größeren Gefallen tun, wenn ihr eure Erfahrung für die differenzierte Beurteilung konkreter Einzelfälle zur Verfügung stelltet. Zum Beispiel mit der Einrichtung eines weiteren Watchblogs à la BildBlog. Stichwort: "neue Technologien" - die können durchaus segensreich sein, wie ihr ja selbst in diesem Fall anerkennt. Da könnte man dann im Einzelfall und ganz konkret sehen, was immer wieder schiefgeht im Journalismus. Gerne auch am Beispiel von Online-Publikationen. (Obwohl ich glaube, dass die konventionellen Medien genug Angriffsfläche bieten.)

Disclaimer: Ich unterrichte an einem Studiengang, bei dem sowohl Journalismus als auch PR auf dem Lehrplan stehen. Wir geben uns große Mühe, unseren Studenten den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen deutlich zu machen.

February 21, 2006

Reconstructing Hannibal the Cannibal

Zu diesem Vortrag würde ich gerne gehen. Ich vermute mal, dass nur wenige Profiler so dicht am größten Serienmörder der Menschheitsgeschichte dran waren, wie der hier. (Picture taken at midnight?)

February 20, 2006

Kleine Bewegungen auf einem sinkenden Schiff

Francis Fukuyama kehrt den NeoCons den Rücken? Ich glaube nicht, dass ihn mir das sympathischer macht. Jemand, der allen Ernstes das "Ende der Geschichte" verkündet hat, kann nur ein Depp oder ein übler Ideologe sein. Dass er 1997 zusammen mit Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz und Jeb Bush ein Manifest mit dem Titel 'The New American Century Project' unterzeichnet hat, war mir bislang entgangen.

(Fukuyamas aktueller Artikel beginnt übrigens mit dem Satz: "As we approach the third anniversary of the onset of the Iraq war, it seems very unlikely that history will judge either the intervention itself or the ideas animating it kindly." Meine Hervorhebung.)

Way New Journalism aus St Louis

Richtig nett: Der Drösser bloggt nicht nur, er podcastet auch, und das macht er ziemlich gut. Mit viel Musik (manchmal ein bisschen zu viel, vor allem im Hintergrund), sehr artikulierter Rundfunk-Spreche und O-Tönen vom "größten Wissenschaftler-Meeting der Welt". Im großen Vergleichstest der Zeit-Weblogs würde ich ihn unter den ersten Rängen sehen.

Die Nachricht des Tages

Bill Emmott, Chefredakteur des Economist, ist zurückgetreten! Das hat eine ähnliche Bedeutung, als wenn Tony Blair zurückgetreten wäre. Obwohl - nein, wenn Blair zurücktritt, ist klar, dass Gordon Brown die Geschäfte übernimmt. Dieser Rücktritt ist spektakulärer.

Bill Emmott ist so alt wie ich, 49. Er ist seit 1980 beim Economist und seit 1993 Chefredakteur. Unter seiner Leitung hat sich die Leserschaft mehr als verdoppelt. Er hat aus dem Blatt ein wirklich globales Medium gemacht. Und er hat sich unter anderem auf dramatische Weise mit Silvio Berlusconi angelegt.

Ein Problem scheint Emmotts ausgeprägter und mitunter tendenziöser Philo-Amerikanismus gewesen zu sein. Lange, viel zu lange, hielt er an Bush jr. fest, nötigte die Redaktion immer wieder zu offener Parteinahme. Gelegentlich spürte man auch als naiver Leser den Widerstand im eigenen Hause. Vergleichsweise offen kam das in der Jubiläumsausgabe im November 2003 zur Sprache, als die scheidende Redakteurin Barbara Smith (sie war seit 1956 beim Economist gewesen - dem Jahr, in dem Emmott und ich zur Welt gekommen sind) zurückblickend über die Diskussionen zum Beginn des aktuellen Irak-Kriegs schrieb: "The paper was painfully split".

Vielleicht war es diese Frage, die Emmott jetzt zum Rücktritt bewog oder sogar zwang. Vielleicht blieb ihm, angesichts Bushs katastrophaler Amtsführung, nach allem nichts anderes übrig, als zu gehen. Es würde für den Economist sprechen - eine der wenigen Publikationen, die Position beziehen und darüber hinaus den Anspruch verfechten, dass diese Positionen auf rationalem Weg zustande kommen.

Emmott jedenfalls will jetzt Bücher schreiben, zum Beispiel über die Rivalität zwischen Japan und China. Nicht gerade unverfänglich. Aber auch nicht so riskant wie das transatlantische Verhältnis - zumindest aus europäischer Perspektive.

February 18, 2006

Boah, ist die dick, Mann!

Die ZEIT wird 60. Gelegenheit, sie mal in Schutz zu nehmen gegen einen wirklich dummen Vorwurf, der geradezu reflexhaft immer wieder gegen diese Zeitung hervorgebracht wird: "Die ZEIT", heißt es dann immer, "die habe ich während meines Studiums gelesen - billiges Studentenabo, Sie verstehen. Jetzt lese ich sie nicht mehr, sie ist mir einfach zu umfangreich. Das schafft man ja nie, die von Anfang bis Ende durchzulesen." So als müsse man es diesem Blatt vorhalten, dass es nicht mit deutschem Geiz und Gründlichkeitswahn kompatibel ist. Mit dem Zwang, alles von A bis Z auch zu konsumieren, wofür man schließlich Geld ausgegeben hat.

Verständlicher hingegen finde ich eine andere Vorhaltung, die nicht selten in Kombination mit der ersteren dargebracht wird: sie bezieht sich auf das unhandliche Format der Zeitung. Zumindest am Anfang, habe ich mir erzählen lassen, als die ZEIT vor ein paar Jahren mit dem neuen Format der Literaturbeilagen experimentierte, gab es jedesmal eine Flut von Leserbriefen, die genau diese handliche Größe auch für die Mutterpublikation einforderten. Dieser Forderung schließe ich mich an. Ich möchte endlich auch ohne peinliches Hantieren die ZEIT im ICE lesen können. Wie man aber die "gefühlten 327 Seiten Umfang" auf halber Größe unterbringen soll, weiß ich auch nicht. Und so werden wir wohl weiterhin mit dem Großformat leben müssen.

Dieter Buhl, ehemaliger Washington-Korrespondent und ZEIT-Urgestein, hat es mir einmal so erklärt: In der Nachkriegszeit waren zunächst auch die Zeitungen dünn. Als dann der Wohlstand einbrach, war man so stolz auf den Zuwachs an Umfang seiner Presseorgane, dass man sogar in der Werbung für teure Aktenkoffer eine große, dicke ZEIT aus der Seitentasche herausschauen ließ. Das waren die glücklichsten Zeiten am Speersort. Davon könne man sich nun nicht so ohne weiteres freiwillig verabschieden.

February 17, 2006

Krauts und Rüben

Der Economist ist sicher eines der wenigen globalen Leitmedien. Regelmäßig gibt es darin sogenannte "Surveys", gründlich recherchierte Dossiers zu einzelnen Ländern und Themen. Die sind meist sehr lesenswert und deshalb praktisch das einzige Sammelobjekt, das ich mir über mehrere Umzüge hinweg leiste.

Wenn der Economist sich des Themas Deutschland annimmt, kann es vorkommen, dass SPIEGEL ONLINE oder Handelsblatt den Analysen des britischen Vorbilds längere Artikel widmen. Der aktuelle Deutschland-Survey scheint mir jedoch solche Aufmerksamkeit nicht wirklich verdient zu haben. Geschrieben hat ihn Ludwig Siegele, früher einmal freier Autor für die ZEIT, dann Silicon Valley-Korrespondent für das britische Magazin. Warum man ausgerechnet ihn, den Deutschen, dann im Herbst 2003 als politischen Korrespondenten nach Berlin versetzt hat, ist mir ein Rätsel. Die Deutschland-Berichterstattung lässt jedenfalls zu wünschen übrig. Es fehlt in Siegeles Berichten die originelle Außenperspektive auf das Geschehen hierzulande, und es fehlt, scheint mir zumindest, auch an dem politischem und wirtschaftlichem Know-How, das eine wirklich exzellente Analyse erst möglich macht. Die regulären Deutschland-Berichte des Economist gehen praktisch nie über das hinaus, was man in hiesigen Medien schon mehrfach gelesen, gesehen oder gehört hat.

Für den Survey im Economist der letzten Woche hat sich Siegele natürlich mehr Mühe gegeben, aber auch dieser Text bleibt merkwürdig unbefriedigend. Er klingt, als wolle hier ein Insider einem völllig ahnungslosen Fremden unser Land erklären. Und genau das ist untypisch, zumindest für das, was man von den besseren Teilen des Economist gewohnt ist. Dort wird für gewöhnlich Position bezogen und auf hohem Niveau argumentiert, mit teilweise durchaus riskanten und diskussionswürdigen Thesen. Nichts davon in Siegeles Text. Darin steht natürlich auch nichts grundsätzlich Falsches. Aber er hinterlässt den Leser mit einem ratlosen Achselzucken, bleibt in seiner kritischen Bewertung diffus wie einer dieser unsäglichen SPIEGEL-Titel (allerdings ohne deren arrogante und besserwisserische Attitüde). Schade: diese Lektüre kann man sich sparen.

February 15, 2006

State of the Blogosphere

Part I and Part II

Von Kriegen und Großreichen

Unter den vielen Büchern, die ich in den letzten Monaten bei der Bundeszentrale für politische Bildung bestellt habe, sind auch zwei Werke des Berliner Politologen Herfried Münkler: "Die neuen Kriege" (2002) und "Imperien" (2005). Münkler ist einer der wenigen deutschen Sozialwissenschaftler, die spannend und fast jargonfrei über ihre Forschungsbereiche schreiben können und damit auch ein breiteres Publikum erreichen.

"Die neuen Kriege" ist eine ziemlich gruselige Lektüre. Es geht vor allem um die Dekompensation bewaffneter Auseinandersetzungen, um die zunehmende Verselbständigung technologisch niederschwelliger, ethisch völlig entgrenzter Kriegshandlungen, wie wir sie vor allem aus Afrika, aber zum Beispiel auch aus Kolumbien oder vom Balkan kennen. Wo der Staat schwach ist, rotten sich zunehmend männliche Jugendliche zusammen und führen ein weitgehend unangefochtenes Leben des Mordens und Plünderns und der sexuellen Gewalt, das sich laut Münkler weit weniger aus ethnischen oder religiösen Spannungen erklären lässt als aus dem wirtschaftlichen Nutzen, den die Akteure aus dieser Lebensweise ziehen, nicht selten indirekt befördert durch humanitäre Hilfeleistungen für die Opfer ihrer Taten. Und Münkler argumentiert, dass diese Phänomene zunehmend auch in bestimmten Revieren sogenannt "entwickelter" Länder auftreten werden. (Ein Vorläufer dieser Argumentation findet sich übrigens in H.M. Enzensberger Miniatur "Aussichten auf den Bürgerkrieg" von 1993.)

Insgesamt weniger erschreckend als die "Neuen Kriege" ist Münklers neues Buch über "Imperien", das historische Vergleiche mit den großen Reichen der Vergangenheit heranzieht, um die gegenwärtige Entwicklung der USA und ihrer Einflusssphäre zu beleuchten. Da ist von der Sogwirkung die Rede, die Imperien auf ihre Peripherie ausüben, vom "Barbarendiskurs", mit dem das Imperium sich gegenüber denen abgrenzt, die seinen Segnungen zu widerstehen versuchen, von der allgemeinen Asymmetrie zwischen Imperium und dem Rest der Welt, und es werden die traditionellen Widerstandsinstrumente analysiert, die in einer solchen asymmetrischen Situation zur Verfügung stehen. Ob auch das US-amerikanische Imperium seinen Zenit erreicht oder vielleicht schon überschritten hat, ob es überhaupt wie die Imperien der Vergangenheit seinen Niedergang zu erwarten hat, das vermag Münkler natürlich nicht vorherzusagen.

Warum ich die Bücher empfehle? Nicht nur, weil sie gut geschrieben sind. Münklers Themen sind relevant, man hat nach der Lektüre den Eindruck, dass man diese Dinge wissen sollte, so, wie man über ökonomische Globalisierung oder europäische Einigung Bescheid wissen sollte, oder über die Grundlagen von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

Vernachlässigte Themen 2005

Die Initiative Nachrichtenaufklärung hat ihre aktuellen Top Ten der vernachlässigten Themen für das Jahr 2005 vorgelegt. Insgesamt fällt auf, dass das Niveau dieser Aktion sich in den letzten Jahren deutlich verbessert hat. Vor einigen Jahren hatte ich einmal die Jury unter Protest verlassen, weil ich sowohl das Auswahlverfahren als auch die dabei herausgekommene Vorauswahl für nicht akzeptabel hielt.

Mittlerweile hat sich unter anderem meine geschätzte Kollegin Christiane Schulzki-Haddouti der Sache angenommen, die Vorschläge werden in Uni-Seminaren gründlich recherchiert, ihre tatsächliche Medienresonanz wird überprüft, Experten werden zur Relevanz befragt. So kommt eine Auswahl zustande, die interessant und substantiell ist. Ob allerdings der medienkritische Tenor, hier handele es sich um gewissermaßen 'verdrängte' Themen, aufrechtzuerhalten ist, halte ich weiterhin für fraglich.

Außerdem sollte die Initiative ihren Website überarbeiten. Mit dieser vorsintflutlichen Framelösung kann man nämlich keinen Deep Link auf die aktuellen Resultate setzen. Und das würde man doch gerne tun, denn dort befinden sich die lesenswerten Expertisen zu den einzelnen Themen.

February 12, 2006

Nischen für die Bürgerreporter

So sehr ich Social Software und die damit zusammenhängenden Entwicklungen liebe, den sogenannten Citizen Journalism halte ich für ein vielfach überschätztes Phänomen. Man betrachte nur den traurigen Zustand von Short News oder Wiki News mit ihren arbiträren Beiträgen.

Eine Ausnahme ist mir allerdings bei meinen Recherchen begegnet: die BBC plant, über sogenannte Minderheitensportarten (also alles, was nicht Fußball, Formel 1, Tennis, oder - in Großbritannien - Cricket ist) von Bürgerreportern berichten zu lassen. Das leuchtet sofort ein: der ideale Arbeitsbereich für den Amateurjournalisten sind die klassischen Long Tail Bereiche - jene vielen kleinen Reviere, die den gnadenlosen Selektionsmechanismen der Main Stream Media normalerweise zum Opfer fallen. Das Internet bietet Platz für alle, die Redaktionsstuben nicht. Zum Geldverdienen wird's allerdings kaum reichen.

Beraten hat die BBC in dieser Frage übrigens kein Geringerer als Jimmy Wales of Wikipedia fame.

No More Bullet Points

Das Urteil zu den Heiseforen zeigt es, der Rechtsstreit um die Veröffentlichung von Klarnamen bei Wikipedia zeigt es, und jeder ernsthafte Betreiber von interaktiven Bereichen im Netz wird es gerne bestätigen: das Internet der Zukunft kommt nicht ohne seriöse Identifikationsmechanismen aus. Dabei sind viele Probleme zu lösen. In manchen Bereichen wird Anonymität zu schützen sein, in anderen Pseudonymie. Vor allem aber wird es Zeit, dass man sich von den bisherigen Insel-Lösungen befreit, bei denen jeder Anbieter seinen eigenen Authentifizierungsmechanismus benötigt.

Darum kümmert sich der Kanadier Dick Hardt mit seinem Unternehmen Sxip (lies: Skip) Identity in Vancouver. Auf der O'Reilly Open Source Convention im letzten Jahr stellte er in einer furiosen Präsentation sein Konzept einer Identity 2.0 vor.

Im Wonnemonat Mai

Wie die Zeit vergeht... Fast ein Jahr ist es her, dass der DJV zum Thema Online-Journalismus lud und mein Kollege Klaus Meier öffentlich über Qualitätsmanagement in diesem Sektor nachdachte.

Jetzt steht die Version 2.006 an, und Thomas Mrazek zeichnet für das Programm verantwortlich. Mit von der Partie am 26./27. Mai 2006 auch Jochen Wegner, der uns dann hoffentlich erste Resultate seiner Reformbemühungen bei Focus Online vorführen können wird.

"Writing from their parents' basement"

Dümmlich-arrogante Kanzelreden von Old-School-Journalisten gegen die vermeintliche Bedrohung aus dem Internet sind kein Privileg provinzieller Kulturregionen. Auch in den USA wird fleißig gegen Windmühlen gekämpft, wie dieses Beispiel zeigt. Lesenswert eigentlich nur die differenzierte Replik im Columbia Journalism Review.

Journalismus aus zweiter Hand

Von Zeit zu Zeit lamentiere ich darüber, dass es in Deutschland noch zu wenige Watchblogs gibt. Aber vielleicht muss man nur ein bisschen genauer hinsehen. Hier ist zum Beispiel ein kleiner Beitrag, wie ich ihn mir wünsche: Eher beiläufig nimmt Autor Doug Merrill eine Autorin der FAZ für ihre selten selbst recherchierten, dafür aber oft umso tendenziöseren USA-Berichte aufs Korn. Erschienen beim kenntnisreichen Weblog A Fistful of Euros, das ich schon bei anderer Gelegenheit gepriesen habe.

Schön auch, dass in den Leserbriefen ein weiteres Stück fälliger Medienschelte stattfindet: Es geht um den wöchentlichen Ideenklau beim Economist, der sich durch die gesamte deutsche Presselandschaft zu ziehen scheint. Mir ist das Phänomen besonders beim SPIEGEL aufgefallen. Ich stelle mir dort immer eine besondere Taskforce vor, die am Donnerstag die Economist Website zu prüfen hat, um noch rechtzeitig zum freitäglichen Redaktionsschluss an der Brandstwiete die eine oder andere Geisteslücke zu füllen.

Club Volt Reloaded

Jetzt geht es hier behutsam weiter. Ausgangspunkt dabei ist, was ich vor ein paar Jahren in einem Projekt für die ZEIT begonnen habe. Damals war ich verantwortlich für die sogenannte "ZEIT Reformwerkstatt", ursprünglich eine von Gero von Randow und Uwe-Jean Heuser betreute Artikelserie in der zweiten Hälfte der 90er Jahre, die ich dann als Newsletter eine Zeitlang fortgeführt habe. In diesem Newsletter gab es Hinweise auf interessante Zeitungsartikel, Veranstaltungen oder Internetangebote, die in irgendeiner Form den Anspruch erheben konnten, für einen zeitgemäßen, gleichzeitig kritischen und nach vorne orientierten Geist zu stehen. Ich habe es immer bedauert, dass die ZEIT sich aus Kostengründen von diesem bei den Lesern überaus erfolgreichen Format getrennt hat.

Der Name Club Volt sollte einmal für ein ähnliches Konzept stehen, in Anknüpfung an den legendären Club Voltaire der frühen Studentenbewegung, und an den Elektrik-Pionier Allessandro Volta als auserwählten Schutzheiligen einer virtuellen Variante im digitalen Zeitalter.

Hier wird es künftig naturgemäß viel um die Rolle der Medien, besonders der digitalen Medien gehen, aber auch um allgemeine politische und gesellschaftliche Zusammenhänge. Das Pathos der REFORMwerkstatt allerdings, die sich damals wohl vor allem von politischen Maßnahmen rot-grüner Provenienz allerlei versprach, kann ich nicht mehr so recht teilen. Von Agenda 21, dem segensreichen Einfluss der NGOs und anderen Glaubensinhalten der Jahrtausendwende werde ich nur noch mit gesunder Skepsis berichten.

Next Door

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